Wer weiß was?

Dezentrale Wissenswerkstatt

oder: »…die Notwendigkeit der Wissenschaft für den Kampf«*

Im Sommer 2021 wird eine Delegation von Zapatistas aus dem Südosten Mexikos zu einer Weltreise aufbrechen und zunächst Europa besuchen. »Ganz einfach deshalb,« sagen sie, »weil diese Welt nur möglich ist, wenn wir Alle gemeinsam kämpfen, um sie zu schaffen.« In ihrer Erklärung für das Leben machten die Aufständischen klar, worum es gehen soll: »Wir haben vereinbart Treffen, Gespräche, Austausch von Ideen, Erfahrungen, Analysen und Einschätzungen durchzuführen – zwischen uns, die wir uns von verschiedenen Vorstellungen und aus unterschiedlichen Territorien – für das Leben einsetzen.« 

Wir wollen diesem Austausch von Ideen, Erfahrungen, Analysen und Einschätzungen einen Rahmen geben, der das Potential hat, die Kritik der bestehenden Verhältnisse über die zapatistische Weltreise hinaus zu artikulieren, um die Konstruktion von einem Wissen über die Welt voranzubringen, das die Möglichkeiten zu ihrer Veränderung verstärkt. Dazu laden wir alle, jede, jedes und jeden herzlich ein, sich über die drängenden Probleme der Gegenwart zu verständigen, und in selbstbestimmten Formen an der Erprobung von Lösungen mitzuwirken. Kontakt: zapatouraustria@gmail.com

Zapatistische Volksschule in Oventic, Chiapas Mx.
 * »Ohne Wissenschaft,« schreibt SupGaleano, »würden wir spontan das hernehmen, was wir gerade zur Hand haben, um uns mit einer Erklärung, das heißt, einem Trost, abzuspeisen.« SupGaleano: Die Genealogie des Verbechens, in: EZLN, Das kritische Denken angesichts der kapitalistischen Hydra. Beiträge von EZLN-Aktivist*innen zur Theorie und Praxis der zapatistischen Bewegung. Münster: Unrast Verlag 2016, S. 237-256, hier S. 247.

Es geht darum, Orte für einen selbstbestimmten Austausch von Wissen und Wahrnehmung herzustellen, selbst organisierte Zusammenschlüsse von Lehrenden und Gelehrten, Studierenden und Autor*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen…, sowie Plattformen zur Konstruktion von Wissen und zur Dekonstruktion von Disziplinengrenzen. Dabei denken wir – nicht nur aufgrund der Pandemie – keineswegs an ein zentrales, umfassendes Event, sondern an ein offenes Spannungsfeld, in dem Wissen als Austausch, Prozess und Erfahrung – auch virtuell – in Zirkulation gebracht werden kann. Denn erst das Wissen um die Unfertigkeit der Wirklichkeit eröffnet ein Verständnis für die Veränderbarkeit der Welt.

In einer ersten Annäherung schlagen wir vor, diesen Austausch um inhaltliche Schwerpunkte zu gruppieren, die sich – versuchsweise – drei verschiedenen Fragestellungen zuordnen lassen:

1) Fragen, die um die Möglichkeiten für ein gutes Leben für Alle kreisen:

Sumak kawsay – Buen Vivir – Gutes Leben, Menschenrechte, Kinderrechte und soziale Rechte, Postwachstum, De-Growth, Landbesitz und Lebensmittel, Klima und Umwelt, soziale Bewegung und Transformationsprozesse, Friedensforschung, Autarkie und Autonomie, Selbstversorgung und Nachhaltigkeit, Geschlechter-Gerechtigkeit, Feminismus, Leben ohne Staat, leben ohne Geld, Recht auf Arbeit und Migration, Autonomie von Migration, Legalität und Legitimität, Netzfreiheit und Digitale Rechte… 

2) Fragen, die um die Möglichkeit von Geschichte, Geschichten und Erinnerung kreisen:

Geschichte/n des Zapatismus, Weltsystemanalyse und Zapatismus, Kollektivität und Geschichte, Meinungsfreiheit, Wissenskonstruktion als Geschichte und Erinnerung, Geschichte/n als wissenschaftliche und demokratische Narrativität/en, Geschichte und Gerechtigkeit, Zeug*innenschaft und Erinnerung, Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Wahrheitskommissionen, Politik der Wahrheit, Dekolonialisierung von Theorie + Praxis…

3) Fragen, die um die Möglichkeiten von anderem Wissen und Erfahrung kreisen:

Lernen und Ent-lernen, Entkoppelung, Kollektivität, Kommunalität und Konvivialität von Wissen und Erfahrung, Theorien von Senti-Pensar – Verschränkungen von Denken und Spüren, Spiritualität und Kosmovision, Metaphysik, Leben im Widerstand, Antifaschismus und Antirassismus, Urbane und Rurale Weltwahrnehmungen, Verschränkungen von Kunst und Wissen, Wissen um Andere, Andersheit und Alterität, die Konstruktion von anderem Wissen – und: lässt sich das Andere überhaupt begreifen?

Die hier skizzierten Fragegruppen zielen nicht darauf ab eine neue, andere Einteilung der Wissensdisziplinen vorzunehmen, sondern sie wollen vielmehr dazu anregen, auch die bestehende wissenschaftliche Aufteilung des Sinnlichen einer kritischen Analyse zu unterziehen. Benötigen wir an unseren Schulen, Hochschulen und Universitäten möglicherweise völlig neue Abteilungen, Institute und Fakultäten, um den lokalen und globalen Problemen der Gegenwart adäquat zu begegnen? Wo wird heute bereits an der Theorie und Praxis von Würde, Gastfreundschaft, voraussetzungslosem Dialog oder an der Vorausplanung von außergewöhnlichen Aktivitäten gearbeitet? Und wo wird die Analyse unkontrollierbarer Systeme oder die Erforschung von experimenteller Kultur vorangetrieben?

Für den gleichberechtigten Austausch von Ideen, Erfahrungen, Analysen und Einschätzungen sind viele Möglichkeiten denkbar, die von Lern- und Entlerngemeinschaften über Wissenswerkstätten und Science Labs bis hin zu dekolonialen Stadtspaziergängen und Wissens-Aneignungen im öffentlichen Raum reichen. Bring auch Du Dich und Deine Ideen ein für eine mögliche, nötige und selbstbestimmte Wissensgemeinschaft!

Als Anregung zum nachdenken und weiterforschen hier eine Liste von Initiativen zu anderen Arten von Universität, die derzeit an verschiedenen Orten der Welt ausprobiert werden: 

Universidades de la Tierra, Earth Universities
Universidad sin Fronteras, University without Walls  
University of Commons www.universityofcommons.com
Universidad Nomada www.sindominio.net/unomada
Université tangente www.utangente.free.fr
University of Utopia www.universityofutopia.org
Convivial Research www.cril.mitotedigital.org
Centre for Civil Society www.ccs.ukzn.ac.za 

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